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Zukunftsvisionen sind Fluch und Segen zugleich

 Jay Nightwind hat in seinem Blog eine coole Reflexionsmethode entwickelt, bei der es darum geht, ob man sich mental mit der Vergangenheit, der Gegenwart oder der Zukunft beschäftigt. Ich habe sie nicht ausprobiert. (Sorry) Trotzdem ist mir das Thema im Kopf geblieben und habe dadurch auch zu meiner eigenen Überraschung bemerkt, wie sehr ich mental mit der Zukunft beschäftigt bin und es eigentlich schon immer war.

Die Zukunft hat mich durch sehr schwierige Zeiten gebracht. Wenn ich mich machtlos gefühlt habe, war sie mein Zufluchtsort. "Am Ende wird alles gut" sagte ich mir und träumte von einer besseren Zeit. Als dann bessere Zeiten kamen habe ich aber nicht damit aufgehört in die Zukunft zu schauen.

Ich sehe überall Möglichkeiten: Dinge, die ich lernen möchte, Fähigkeiten, die ich haben möchte, Freundschaften, die ich aufbauen möchte... und ich bin wirklich gut darin, diese Dinge zu beginnen. In meinem Kopf existiert eine Zukunftsversion von mir und das ist wirklich die coolste Person, die ihr euch vorstellen könnt. Sie ist hat ein Buch geschrieben, schreibt Songs, macht ihre eigene Kleidung selber, kann Japanisch sprechen, hat einen stabilen Selbstwert und außerdem kann sie einen Spagat!? 

Keine Ahnung, ob ich all diese Dinge wirklich schaffen werde, aber ich arbeite mich dahin. Diese Zukunfts-Kuri ist mein Maßstab und ich vergleiche mich ständig mit ihr. Offensichtlich schneide ich dabei schlecht ab. Ich sehe mich als unfertiges Produkt, eine Baustelle, und Sammlung von unerfülltem Potenzial.

In ein paar Jahren werde ich dann ein Buch geschrieben haben, Songs schreiben, meine eigene Kleidung selber machen, Japanisch sprechen können und mich mit einer weiter entfernten Zukunftsversion vergleichen, während ich im Spagat sitze. Wenn ich mich immer nur an einer besseren Version von mir orientiere, kann ich nie gut genug sein. (Und deswegen ist die Self Improvement Szene ein kapitalistischer Scam)

Aber vielleicht schaut die Zukunfts-Kuri auch auf mich und wird mir dafür danken, dass ich den harten Teil übernommen habe, zur Therapie gehe, schreibe, Dinge lerne und übe...
Wenn ich jetzt auf die Kuri der Vergangenheit schaue, kann ich sie nur bewundern und ihr danken, dass sie mich dahin gebracht hat, wo ich jetzt gerade bin.

Kommentare

  1. Für mich kickt da direkt die Frage rein, was denn "besser" ist? Weil das ist der eigentliche kapitalistische Scam, das Anwenden von Qulitätsbegriffen auf uns selbst. Die Frage ist nämlich für mich mehr: Wer möchte ich in der Zukunft sein und was kann ich jetzt dafür tun. Ich will nicht besser werden, weil ich meine Fertigkeiten nicht qualifizieren möchte. Und ich will Sachen einen Sinn geben und eine Entscheidungen dahinter stellen: Warum will ich japanisch können? Warum ein Spagat? Und freue ich mich, wenn ich diesem Warum folge. Und das ist mein Blickwinkel. Nicht "besser" sondern "weiter ich" werden.

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